THE BANSHEES OF INISHERIN erzählt eine scheinbar kleine Geschichte, die aber viel Tiefe besitzt. Es geht um die Entzweiung einer Männerfreundschaft auf einer irischen Insel, während der Bürgerkrieg in den 1920er Jahren auf dem Festland tobt. Davon hört man nur ab und an ein paar Kanonen oder etwas Gerede. Auf Inisherin ist ein eigener Krieg in Gange.
Pádraic, gespielt von Colin Farrell, der einen herausragenden Cast anführt, möchte einfach nur weiter seinen bekannten Routinen nachgehen. Doch sein bisheriger bester Freund Colm möchte plötzlich nichts mehr mit ihm zu tun haben, was seine gesamte Welt aus den Angeln hebt. Andere versuchen zu vermitteln oder ihn aufzuheitern, aber es lässt sich nichts machen. Der Verlassene trauert und kämpft gegen den Verlust. Doch Colms Beschluss steht fest und er kündigt an, sich jedes Mal einen Finger abzuschneiden, wenn Pádraic ihn stört.
So entwickelt der kleine Disput, der scheinbar aus dem nichts geboren wurde, schnell eine drastische Ernsthaftigkeit und Gewalt. Auch thematisch schlummert einiges unter den einfachen Aussagen der Akteure. Es geht um die Suche nach einem Lebenssinn, die Vergänglichkeit der Zeit, Zugehörigkeit und die Koordination des Zusammenlebens in einer Gemeinschaft. Das meisterhafte Drehbuch des Regisseurs Martin McDonagh bindet das alles subtil in skurrilen und pointierten Dialogen ein. Bestechend sind dabei auch die vielen skurrilen Nebenfiguren. Alle Inselbewohner*innen haben ihre Macken und tragen diese selbstbewusst zur Schau. Das reicht von der neugierigen Postbeamtin, die man mit möglichst interessanten Gerüchten bezahlen muss, um seine Post zu bekommen, über den einfältigen, als Dorftrottel bezeichneten Dominic, der Pádraic als einziger Gesellschaft leistet, wenn dieser den Pub verlassen muss, bis zur mysteriösen, hexenartigen Mrs. McCormick, die die letzte Einstellung des Films mit ihrer Perspektive bestimmt.
Die Kamera gleitet über die weitläufige Natur der Insel und beobachtet ihre tierischen Anwohner mit derselben Würde wie die menschlichen. Insbesondere Esel Jenny spielt eine tragende Rolle und kommt gerne auch mal als emotionale Unterstützung mit ins Haus, wenn Pádraic traurig ist. Das könne man ihm doch wirklich nicht verübeln! Ansonsten ist dafür vor allem seine belesene Schwester Siobhán da. Sie ist der gesamten Inselgemeinschaft intellektuell überlegen und sorgt sich liebenswert um ihren Bruder bis auch sie ihn und die Parallelwelt Inisherins verlässt, als sich eine Karrierechance auf dem Festland ergibt.
Auch Colm hat einen ständigen tierischen Begleiter. Der große Hund ist am Ende ein möglicher neuer Verbindungspunkt zwischen den beiden entzweiten Freunden. Vorbei ist der Streit nach mehreren Eskalationsstufen dennoch nicht. Das ungleiche Paar wird wohl weiter über die Insel wüten wie die Todesfeen (=Banshees), für die Colm ein Violinenstück komponiert hat.
THE BANSHEES OF INISHERIN wurde für neun Oscars nominiert und gilt bei der Verleihung im März zurecht als einer der Favoriten für den Hauptpreis.

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