INSOMNIA (US 2002): Anti-Buddy-Cop-Movie in absurder Helligkeit

„Ein guter Cop kann nicht schlafen, weil ein Teil des Puzzles fehlt. Und ein schlechter Cop kann nicht schlafen, weil sein Gewissen ihn plagt.“ Diesen Satz sprach Detective Will Dormer (Al Pacino) vor langer Zeit, als er sich seiner selbst als guter Cop sicher war und ihm ein makelloser Ruf als Meister seiner Profession voraus ging. Als ihn die junge Kollegin Elli Burr (Hillary Swank) nun zitiert, zweifeln das Publikum und er selbst gemeinsam, wo er nach mehreren schlaflosen Nächten zwischen den beiden genannten Polen zu verorten ist.

Will Dormer ist mit seinem Partner Hap aus LA angereist, um in einer Kleinstadt in Alaska einen Mordfall aufzuklären. Empfangen werden sie von der motivierten jungen Polizistin Elli Burr, die sich direkt als Fan der Arbeit des erfahrenen Dormer entpuppt. Die Stimmung zwischen den beiden Gästen ist dagegen angespannt. Daheim läuft eine Investigation, bei der Hap gegen Will aussagen soll. Als die Polizisten im großen Team am nächsten Tag versuchen den mutmaßlichen Täter zu fassen, schießt Will im dichten Nebel auf Hap, der ihn in seinen letzten Worten des vorsätzlichen Handelns bezichtigt. Will lügt die Kollegen an und schiebt die Tat dem gesuchten Mörder zu. Als er beginnt an sich selbst zu zweifeln, wird er vom gestehenden Mörder Walter Finch (Robin Williams) angerufen, der ihm einen Pakt vorschlägt, um ihre beiden Taten zu verschleiern.

Christopher Nolans dritte Regiearbeit stellt einen großen Schritt in seinem Werk dar. Erstmals konnte er mit etablierten Schauspielern zusammenarbeiten, erhielt das Vertrauen eines Großen Studios (Warner Bros.) und realisierte gleichzeitig das einzige Mal in seiner bisherigen Karriere ein fremdes Drehbuch, das von Hillary Seitz als Remake eines norwegischen Films von 1997 verfasst wurde. Während der Film weniger Anerkennung erhalten hat als viele seiner anderen Produktionen und gewiss eine weniger ambitionierte narrative Struktur aufweist, ist er als Baustein im Werk dennoch äußert beachtenswert. Hier konnte sich Nolan ausprobieren und viel dazulernen, bevor er sich als nächstes einer großen Superhelden-Trilogie zuwandte. Zudem gibt es bei näherer Betrachtung auch einige äußerst spannende Aspekte an INSOMNIA.

Es ist ein untypischer Polizeifilm. Zwar scheint er im grundlegenden Aufbau den Genrekonventionen zu folgen, doch geht es hier kaum um die tatsächliche Aufklärung der Tat. Täter und Motiv sind schnell klar und zwar ohne einen großen Ermittlungserfolg, sondern durch Finchs eigenständige Kontaktaufnahme und seine Selbstoffenbarung. Viel mehr geht es, wie es Sebastian Seidler in einem Aufsatz beschreibt eher um den Prozess der Grenzüberschreitung, vollzogen gleichermaßen durch Dormer und Finch.[1]

Das Setting in der alaskischen Kleinstadt spielt eine große Rolle sowohl im Handlungsverlauf wie in der Atmosphäre, die der Film erzeugt. Die Sonne geht hier nicht unter, es bleibt immer hell. Aus dieser ungewohnten Gegebenheit entsteht eine irritierende Grundstimmung. Es fehlt ein Maßstab der Orientierung, was Zuschauer und Protagonist gleichermaßen durcheinanderbringt. Tagesabläufe und Dauern sind schwer nachzuvollziehen. Dormer ist bei der invasiven Helligkeit, die zu jeder Zeit, durch die heruntergezogenen Rollos hindurchdringt, nicht in der Lage einzuschlafen. Die zunehmende titelgebende Insomnie des Detectives geht einher mit seinen Selbstzweifeln und einer steigenden psychologischen Misere. Er wandert als Außenseiter durch die geschlossene kleinstädtische Community, ist hier fremd und offensichtlich fehl am Platz, wobei sich die Rückkehr in die Heimat ebenfalls als zunehmend bedrohliche Perspektive entpuppt.

Dormers Misere wird durch eine Art Splittermontage erzählt. Seine psychologische Belastung drückt sich durch wiederholt auftretende kurze Detailaufnahmen aus, deren Bedeutung sich erst spät erschließt. Außerdem führen die wachsenden Zweifel und Schuldgefühle gegenüber seinem verstorbenen Partner zu Halluzinationen, die Hap ständig in Wills Blickfeld erscheinen lassen. Diese Visionen hängen auch mit seiner Schlaflosigkeit zusammen, die sich als drückendes Fortschreiten eines psychischen und körperlichen Verfalls zeigt. Durch verschiedene gelungene Kniffe werden die drastischen Folgen der totalen Erschöpfung für den Zuschauer erfahrbar.

INSOMNIA kann als eine Art Anti-Buddy-Cop-Movie begriffen werden. Anstatt in vertrauensvoller Zusammenarbeit den Fall gemeinsam zu bearbeiten, herrscht von Beginn an eine angespannte Stimmung zwischen den langjährigen Partnern, die bald extreme Konsequenzen fordert. Dormer geht dann eine Allianz mit dem gesuchten Mörder ein, bei der beide jedoch misstrauisch den Verrat des anderen erwarten. Seiner Kollegin Elli schenkt Will dagegen kaum Beachtung, versucht ihr sogar aus dem Weg zu gehen aus Angst, sie könne ihm auf die Schliche kommen. Sie fungiert dabei als moralisches Rückgrat des Films, als integre Position, die den Ruf der Polizei als Institution retten soll.

Die Fragen, die Dormer seine Karriere betreffend beschäftigen, haben in der heutigen Debattenkultur eine aktuelle Relevanz. Der Detective sorgt sich um seine Reputation und das große Ganze seines beruflichen Erfolgs. Nach einer jahrzehntelangen erfolgreichen Karriere hat er einen Fehltritt begangen, der nun droht, sein gesamtes Vermächtnis zu zerstören. Diese Sorgen erinnern stark an den Trendbegriff der Cancel Culture. Dormer drückt sich davor, sich der Herausforderung direkt zu stellen und verliert sich in den Sorgen. Dieser ausweichende Umgang bleibt nicht ohne Konsequenzen.


[1] Vgl. Sebastian Seidler: Wandelnde Identitäten. Überlegungen zum Ereignis der Grenzüberschreitung in INSOMNIA. In: Jörg Helbig (Hg.): Christopher Nolan. Film-Konzepte, Heft 62. München 2021.

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