Nur noch eine Woche bis die 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin beginnen. Die Berlinale ist nicht nur eines der größten Publikumsfestivals der Welt und damit für zahlreiche Berliner*innen und Gäste ein Höhepunkt des Winters, sondern auch für die deutsche und internationale Filmbranche ein wichtiger Treffpunkt. In diesem Artikel geht es darum, was in diesem Jahr ansteht und worauf ich mich besonders freue.

Was hat die 73. Berlinale vor? Wo möchte die Leitung ihre Schwerpunkte legen? Und natürlich: Welche Filme werden im Internationalen sowie im Encounters-Wettbewerb zu sehen sein? Um diese Fragen ging es am Montag, den 23.01. in einer Pressekonferenz, die die geschäftsführende Leiterin Mariette Rissenbeek und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian der Berlinale im Haus der Berliner Festspiele gaben. Sie sprachen auf der Bühne vor einer großen Berlinale-Leinwand zu einem vollen Saal und vielen digitalen Zuschauer*innen, die von ihrem Zuhause von überall aus per Livestream dabei sein konnten.
Die großen Themen
Die erste freudige Ankündigung lautete, dass die Berlinale nach zwei Corona-gebeutelten Jahren nun in voller Kapazität zurück ins Kino kommt. Daraus ergibt sich auch eine Art Motto. Die Berlinale möchte die Rückkehr ins Kino feiern und mit verschiedenen Initiativen dabei helfen, das Publikum zurückzugewinnen. Insbesondere hob Rissenbeek die neue Spotlight-Initiative der Sektion Generation hervor, die in Zusammenarbeit mit der AG Kino-Gilde und der Vision Kino ausgezeichnete Festivalfilme auf deutschlandweite Kinotour schickt und deren Auftaktveranstaltung vor zwei Wochen stattfand.
Selbstverständlich wird die besorgniserregende Weltlage auch während der Berlinale eine Rolle spielen. Während der Pressekonferenz hieß es, dass sowohl der Krieg in der Ukraine als auch die fortlaufenden Proteste in Iran einen Fokus des Festivals darstellen sollen. Es ginge vor allem darum, die betroffenen Filmschaffenden zu unterstützen und Aufmerksamkeit zu schaffen. Dies schlägt sich im Programm vor allem durch einige ukrainische Dokumentarfilme (z. B. SHIDNIY FRONT von Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko oder IRON BUTTERFLIES von Roman Liubyi) und mehrere Filme von emigrierten iranischen Regisseur*innen (z. B. MON PIRE ENNEMI Mehran Tamadon oder LA SIRÈNE von Sepideh Farsi) nieder.
Als weitere relevante Initiativen nannte Rissenbeek, Angebote für Geflüchtete sowie ein größerer Inklusionsschwerpunkt. Zudem soll das bereits in den letzten Jahren gestärkte Thema Nachhaltigkeit 2023 weiter ausgebaut werden.

© Richard Hübner / Berlinale 2023
Nach Rissenbeeks Ausführungen übernahm Chatrian, um die Filmauswahl für den Encounters- und den traditionellen Internationalen Wettbewerb zu verkünden. Der Großteil der Filme anderer Sektionen wurde bereits im Vorfeld durch zahlreiche Pressemitteilungen bekanntgegeben. Seit Dienstag steht das vollständige Programm der diesjährigen Berlinale zur Verfügung. Von Chatrian gab es zunächst noch ein paar allgemeine Worte zum Programm. Nachdem im vergangenen Jahr viele Filme bei einer Flucht aus dem bedrückenden Alltag helfen sollten, sei in diesem Jahr die Realität in die Filme zurückgekehrt. In vielen Fällen verschwämme die Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm, kündigte Chatrian an. Über das gesamte Festivalprogramm verteilt, gibt es in diesem Jahr besonders viele Erstlingswerke, der künstlerische Direktor sprach von etwa 50. Und auch im Wettbewerb gäbe es einen Austausch zwischen erfahrenen Rückkehrern und erstmaligen Berlinale-Regisseur*innen. Zudem seien hier viele Melodramen vertreten.
Die Filme im Fokus
Beim Durchsehen des Programms im Vorfeld entsteht der Eindruck, dass es ein sehr starker Berlinale-Jahrgang werden könnte. Es gibt unglaublich viele Filme, die mich interessieren und somit auch sehr viele, die ich verpassen werde. Hier möchte ich nur ein paar Filme aus den drei meistbeachteten Sektionen Wettbewerb, Encounters und Panorama aufzählen, auf die ich mich am meisten freue. Das bedeutet nicht, dass ich alle davon werde, sehen können oder, dass sie die einzigen wären, die mich interessieren. Es sind eher die Filme, die, durch eine mir bereits bekannte Regieperson, etwas, das ich bereits über den Film gehört habe, oder einen auffälligen Titel oder Bild direkt meine Aufmerksamkeit gefangen haben und mir im Kopf bleiben. Ich freue mich auch sehr auf viele andere Filme und alles, was mich überraschen wird.
- ROTER HIMMEL von Christian Petzold
- die vier anderen deutschen Filme im Wettbewerb von Christoph Hochhäusler, Margarethe von Trotta, Emily Atef und Angela Schanelec
- PAST LIVES von Celine Song
- MAL VIVER (läuft im Wettbewerb) & VIVER MAL (läuft in Encounters) beide von João Canijo
- MUL-AN-E-SEO (in water) von Hong Sangsoo
- MŰANYAG ÉGBOLT (White Plastic Sky) von Tibor Bánóczki
- LE MURA DI BERGAMO von Stefano Savona
- PERPETRATOR von Jennifer Reeder
- ALL THE COLOURS OF THE WORLD ARE BETWEEN BLACK AND WHITE von Babatunde Apalowo
- PASSAGES von Ira Sachs
- STILLE LIV (The Quiet Migration) von Malene Choi
Blick auf die anderen Sektionen
Neben den drei Sektionen, aus denen ich wahrscheinlich die meisten Filme sehen werden, gibt es auch viele Höhepunkte in den anderen Sektionen. Im Berlinale Special werden ein paar Filme gezeigt, die mit prominentem Cast oder Regisseur*innen aufwarten und in dieser Sektion eine glamouröse Premiere feiern. In diesem Jahr läuft hier unter anderem der sechsmalig oscarnominierte TÀR, Lars Kraumes neuer Film DER VERMESSENE MENSCH und Sean Penns und Aaron Kaufmans Ukraine-Doku SUPERPOWER.
Die drei Sektionen, die sich der Filmgeschichte widmen und von der Deutschen Kinemathek kuratiert werden, bieten in diesem Jahr ein äußerst starkes Aufgebot. Die Retrospektive widmet sich in einem besonderen Format dem Coming-Of-Age-Genre. Zum ersten Mal wurden zahlreiche internationale Filmschaffende eingeladen, je einen Film auszuwählen, der sie persönlich im Aufwachsen geprägt hat oder im eigenen künstlerischen Werdegang eine wichtige Rolle spielt. Entstanden ist ein reiches Programm voller Klassiker und Entdeckungen. Die Hommage zeigt traditionell einige Filme der Person, die den Goldenen Ehrenbären erhält. Somit ehrt das Programm diesmal Steven Spielberg mit einigen seiner bekanntesten Filme sowie seinem relativ schwer verfügbaren Debütfilm DUEL und seinem neusten Film THE FABELMANS vor dessen deutschen Kinostart im März. In den Berlinale Classics werden kürzlich neu restaurierte Filme gezeigt, darunter Stanley Kramers GUESS WHO’S COMING TO DINNER und Charlie Chaplins A WOMAN OF PARIS.
Zum Rahmenprogramm
Zum Schluss noch zu ein paar Events, die neben dem Filmprogramm bevorstehen. Die Sektion Perspektive Deutsches Kino etabliert ein neues Format „Perspektive Match“, in dem ein Nachwuchstalent unterschiedlicher Gewerke aus jedem gezeigten Film, mit einer etablierten Person des Bereichs aus der Deutschen Filmakademie gepaart wird. Die beiden kommen zu einem Bühnengespräch zusammen und sehen ein Werk des „Profis“ zusammen an.
Das Programm der Berlinale Talents steht unter dem Jahresthema „You Must Be Joking: Humour in Serious Times“ und versammelt viele spannende Gäste wie Ruben Östlund, Regisseur Todd Field und Schauspielerin Cate Blanchett von TÀR sowie Geraldine Chaplin und John Malkovich.

© Leandro Alzate & Miriam Jacobi
Die Deutsche Kinemathek bietet ergänzend zur Retrospektive kostenfreie Inhalte auf ihrer Webseite an. In ihrem Streamingprogramm „Selects“ kann man bis Mitte April umsonst weitere neun Filme sehen. Im Online-Magazin „Insights“ erhält die Wiener Filmwissenschaftlerin Bianca Jasmina Rauch, die gerade zum Coming-Of-Age-Film promoviert, eine Essay-Reihe.
Es gibt also in diesem Jahr wieder viel zu entdecken, wenn die internationale Filmwelt für zehn Tage in Berlin zu Gast ist. Auf diesem Blog wird der Berlinale ein Special gewidmet. Das vollständige Berlinale-Programm findet ihr hier.

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