SHE SAID (US 2022, R: Maria Schrader) oder der radikale Akt des Zuhörens

Ein Film über die Enthüllung des Weinstein-Skandals. Über journalistische Recherchearbeit, weibliche Ermächtigung, Hoffnung, Schmerz und Weitermachen.

Jodi Kantor und Megan Twohey arbeiten beide als Investigativjournalistinnen bei der New York Times. Wir sehen sie bei ihrer Arbeit. Jodi besucht eine Geflüchtetenunterkunft an, lehnt unscheinbar an der Wand und macht sich Notizen. Megan überzeugt eine Frau, die als Angestellte von Fox News sexualisierte Gewalt erfahren musste, sich in ihrem Artikel namentlich zitieren zu lassen. Die Folgen der Enthüllung betrachten die Mitarbeitenden der New York Times gemeinsam auf Fernsehern im Großraumbüro. Das Team feiert einen Erfolg. Megan, die diesen erbracht hat, muss die Konsequenzen mit in ihr Privatleben nehmen, wo sie durch aufgewühlte Anrufe der betroffenen Frau bei einem Arzttermin gestört wird und schlaflose Nächte erlebt.

Diese Anfangsepisode von She Said zeigt die beiden Protagonistinnen bereits in ihren verschiedenen Rollen und was diese mit Ihnen machen. Sie sind in ihrem Berufsalltag Teil einer riesigen Zeitungsmaschinerie und gleichzeitig sehr persönlich involviert.

Jodi hört erste Geschichten über den schweren Machtmissbrauch eines großen Hollywood-Produzenten. Sie versucht, mit den betroffenen Frauen zu sprechen, ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen. Dabei steht die Telefonverbindung jedoch als Barriere zwischen ihr und den verletzten und enttäuschten Schauspielerinnen Rose McGowan und Ashley Judd. Letztere spielt sich im Film selbst. Jodi bittet Megan um Hilfe, die sich momentan im Mutterschutz zu Hause befindet. Die beiden scheinen sich bisher eher flüchtig gekannt zu haben, aber finden nun Nähe durch ähnliche Erfahrungen mit Mutterschaft und Wochenbettdepression. So überwinden sie die Barriere des Telefons. Diese wird im Laufe der Recherche eine schwierige Hürde, die sie manchmal meistern, aber immer wieder auch daran scheitern, bevor die Telefonverbindung später im Film zum wirklich gefährlichen Terrain wird. Eine wahre Verbundenheit kann sich erst in persönlichen Gesprächen von Angesicht zu Angesicht entwickeln.

Als Megan zurück in die Redaktion kommt, schließt sie sich Jodis Arbeit an. Die beiden interviewen unzählige Personen, um Harvey Weinsteins Machenschaften aufzuklären und Beweise für seine Taten zu finden. Das erschreckende Ausmaß seines Missbrauchs zu hören, setzt den beiden Journalistinnen (und dem Publikum) psychisch zu, aber sie lassen sich nicht einkriegen. Auch nicht, als sich Widerstand bildet und Weinsteins Team beginnt, die Recherche zu sabotieren.

Die Schilderungen bleiben bei einer auditiven Erfahrung. Es gibt keine Reenactments der Vorfälle. Teilweise sehen wir zu den Erzählungen leere Hotelzimmer und Flure mit abgelegten Bademanteln oder heruntergefallenen Handtaschen. Kalte Eindrücke, die als Leerstellen für viel schlimmere Bilder stehen. So wird dem Täter keine erneute Bühne gegeben. Überhaupt ist Weinsteins Stimme nur am Ende über den Telefonlautsprecher zu hören und als er zu einem Meeting erscheint, sehen wir nur von Weitem seinen Rücken. Die Erzählung wird von der Stimme der Betroffenen geleitet, wodurch sie die Macht über die Situation zurückgewinnen. Diese Geschichten müssen erzählt werden. Zwar schmerzt es die Frauen schmerzt, sich zu erinnern und zu erzählen, doch erlangen sie Kraft zurück durch den radikalen Akt des Zuhörens der Journalistinnen. Darin liegt deren größter Erfolg. Das Zuhören entfaltet hier eine Stärke, wird zum gemeinschaftlichen Akt, der das Weitermachen ermöglicht. Wir, als Kinopublikum, werden Zeuge dessen, klagen den Täter mit an und tragen die Geschichten mit uns aus dem Kinosaal heraus in die Welt.

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