Teil der Filmreihe Christopher Nolan
Was macht uns als Menschheit aus? Was macht uns besonders und schützenswert? Oder sind wir das überhaupt? Diese Fragen treiben die Protagonisten in Christopher Nolans neuntem Film um. In Zeiten katastrophaler Folgen der Klimakrise beschäftigt sich INTERSTELLAR bereits 2014 damit, was mit den Menschen passieren sollte, wenn die Erde nicht mehr zu retten ist.
Das Team der mittlerweile im Geheimen agierenden NASA sucht einem Alternativplaneten als neue Heimat der Menschen. Der leitende Professor Brand, gespielt von Nolans Stammdarsteller für Mentorenrollen Michael Caine, beteuert Zuversicht und will aus Überzeugung die Spezies Mensch erhalten, selbst wenn dafür die momentane Erdbevölkerung geopfert werden muss.
Die Klimakatastrophe präsentiert sich als Endgegner der Menschheit. Die Bilder ihrer Folgen wirken dystopisch, auch wenn sie wohl wahrscheinlicher sind, als wir es wahrhaben wollen. Infolge von extremen Wetterphänomenen herrscht Lebensmittelknappheit, Landwirtschaft ist nur noch begrenzt möglich. Überall liegt und weht dicker Staub, bedeckt alles und verpestet die Atemwege. Jugendliche werden dazu angehalten nach Ende ihrer schulischen Laufbahn auf dem Feld zu arbeiten, Akademiker*innen würden in der aktuellen Lage nicht mehr benötigt. Die Gesellschaft ist aufs schiere Überleben ausgerichtet.
Das ist das Setting, in dem Cooper (Matthew McConaughey) mit seinem jugendlichen Sohn und der jüngeren Tochter Murphy bei seinem Schwiegervater in einem Landhaus lebt. Er ist ausgebildeter Pilot und träumt vom Entdecken und Erforschen, dem Pioniergeist vergangener Generationen. Stattdessen muss er der Maisernte nachgehen. Zumindest bis er eines Tages von unerklärlichen Ereignissen aus den tristen Routinen gerissen wird. Durch verschlüsselte Nachrichten wird er zum versteckten Hauptquartier der NASA geleitet und dort in die Mission involviert, die die Menschheit retten soll. Vor zehn Jahren wurden zwölf Wissenschaftler einzeln in eigenen Raumschiffen auf verschiedene Planeten geschickt, um zu evaluieren, ob einer davon die Anforderungen für menschliches Leben erfüllt. Nun soll eine Gruppe aufbrechen, um den vielversprechendsten Planeten zu ermitteln und dort die Basis für eine menschliche Kolonie zu legen. Schweren Herzens entschließt sich Cooper dafür, seine Familie zu verlassen und die Gruppe als Pilot anzuführen.
Die Einstellungen der Figuren und ihre Weltsicht bestimmen direkt ihr Handeln und prallen in Auseinandersetzungen aufeinander. Ob jemand eher optimistisch oder pessimistisch veranlagt ist, kann existenzielle Folgen haben. Die Wissenschaftler haben nicht alle Informationen über ihre möglichen Reiseziele. Sie müssen die Daten, die ihnen zur Verfügung stehen, für begründete Vermutungen nutzen. Dabei treten äußere Gesichtspunkte wie Zeit als relevante Ressource und Liebe als größere Kraft und Motivator hinzu und individualisieren die Debatte. Es bleibt ein sehr menschlicher Streit, der nicht rein durch eindeutige Fakten zu klären wäre. Zudem zieht sich durch den ganzen Film die Konfliktlinie zwischen Individuum und Gemeinwohl beziehungsweise Menschsein im Allgemeinen.
Zur Natur besteht in diesem filmischen Universum ein ambivalentes Verhältnis. Auf der Erde stellt sie sich als Gegner, als tödliche Gefahr, die es zu bändigen gilt, dar. Dagegen steht die Perspektive von Brands Team, die endlose Möglichkeiten der Entfaltung in den Weiten des Alls sehen. In der anderen Galaxie, die durch ein Wurmloch erreicht werden kann, hat jeder Planet eine andere Naturgestalt, bietet andere Chancen und Gefahren. Der erste angesteuerte Planet ist vollständig mit Wassermassen bedeckt, die sich stündlich in berghohen Wellen entladen. Der zweite Planet, besteht aus massiven Eisbergen. Beide entfalten den Besuchern gegenüber eine tödliche Macht. Dennoch geben die Protagonisten Cooper und Brands Tochter Amelia (Anne Hathaway) nicht auf. Sie halten fest an der Hoffnung auf einen Ort, an dem die Natur floriert und einen neuen Lebensraum für die Menschheit darstellen kann. Eine große Leerstelle in Bezug auf die Naturdarstellungen stellt die Tierwelt dar. Weder auf der Erde noch in den Überlegungen über die anderen Planeten spielen Tiere irgendeine Rolle. Sie werden weder als Gefährten oder Nutztiere erwähnt oder mitgedacht, noch gibt es Ängste vor gefährlichen Kreaturen an den unbekannten Orten.
Die Naturbilder auf den fremden Planeten und die Weiten des Alls entfalten eine enorme Bildgewalt, die Schönheit und Schrecken der existierenden und möglichen Welt einfängt. Diese Bilder und die aus ihnen resultierenden Spannungsmomente in der Absolutheit des von den Wissenschaftlern zu erfüllenden Auftrags machen INTERSTELLAR zu einen Kinoepos. Die fesselnden Aufnahmen im 70mm-IMAX-Format, die Weltraumsounds und die herausragende Musik von Hans Zimmer machen den Film zu einem wahren Erlebnis, dessen Sog sich nur im Kinosaal voll entfalten kann.
Neben der Musik wirkt auch die Montage wie ein Verstärker für die bereits narrativ begründete Spannungssituation, die wie eine tickende Zeitbombe über den letzten Menschen schwebt. Insbesondere in der zweiten Hälfte des Films als die mittlerweile erwachsene Murphy (Jessica Chastain) auf der Erde an der Unterstützung der Weltraummission arbeitet, wird der Schnitt zunehmend genutzt, um die Dringlichkeit zu verschärfen. Es wird vermehrt zwischen Vater und Tochter gewechselt und damit ihre Handlungen und Empfindungen eng miteinander verknüpft. Diese Verbindung, die für beide als Hauptmotivation gilt, verstärkt das Motiv der starken Liebe, die als menschliche Superkraft und besonderes Alleinstellungsmerkmal verstanden wird. Eben diese Liebe wird am Ende zur Rettung und gilt als das unbedingt zu erhaltende menschliche Element.
Bei der Arbeit an INTERSTELLAR war es Nolan und der Produktion ein großes Anliegen, möglichst nah an wissenschaftlichen Fakten zu bleiben. Dafür wurde eng mit dem theoretischen Physiker Kip Thorne als wissenschaftlichen Berater und Executive Producer zusammengearbeitet, der über den Film auch ein Buch geschrieben hat und 2017 einen Nobelpreis für seine Forschung zu Gravitationswellen erhielt. Die visuelle Darstellung des Schwarzen Lochs löste nach Veröffentlichung des Films einen größeren Diskurs aus.[1] Im Film ist immer wieder dialogisch klar markiert, bis wohin die klaren Daten und sicheren Fakten gehen und ab welchem Punkt, die Figuren Vermutungen und Spekulationen aufstellen.
Trotz der wissenschaftlichen Basis finden sich in INTERSTELLAR auch Elemente des mindgame movies. Der Begriff wurde 2009 von Thomas Elsaesser geprägt und beschreibt eine Gruppe von Filmen, die in einer narrativ komplexen Form besonderes Engagement vom Zuschauer erfordern.[2] Insbesondere die Kommunikation von Cooper aus dem Schwarzen Loch zur Erde ist dafür relevant. Das Thema mindgame movies soll in weiteren Artikeln der Filmreihe vertieft werden.
[1] Vgl. Jannik Müller: The Science of Fiction. Die Computersimulation eines Schwarzen Lochs in INTERSTELLAR. In: Jörg Helbig (Hg.): Christopher Nolan. Film-Konzepte, Heft 62. München 2021, S. 89-100.
[2] Vgl. Thomas Elsaesser: Film als Möglichkeitsform: Vom „post-mortem“-Kino zu mindgame movies. In: Ders.: Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino. 1. Auflage Berlin 2009, S. 237-263.

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